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Der bescheuertste -ismus

25 Nov

Mal ganz ehrlich: würdest Du ein T-shirt tragen mit der Aufschrift: „Ich profitiere vom Adultismus“?

Ok ok, das wirft wohl ein paar Fragen auf.

Letztens in Südafrika. Zwei weisse Südafrikaner, Roger Young und Leonard Shapiro, bedrucken T-shirts „I benefited from apartheid“, und bieten sie auf einer Kunstausstellung mit dem Hinweis „Free T-shirts, whites only“ an. Die spontane Aktion entfacht eine heftige Debatte über Schuld und Verantwortung, Rassismus und Apartheid – 18 Jahre nach dem offiziellen Ende der ‚Rassentrennung‘ in Südafrika. Der Zeichner Zapiro, der bereits mit einem Cartoon – ein leerer Rahmen mit der Überschrift „Whites who never benefited from apartheid“ – hässliche Kommentare rassistischer Apartheid-Profiteure erntete, unterstützte die T-shirt Initiative:

Jede weisse Person, selbst die sich gegen die Apartheid engagierte, profitierte von der Apartheid.

Das Unrecht der Apartheid ist längst nicht überwunden, und die Auseinandersetzung daher unvermeidlich – doch warum fällt es uns so schwer, die Machtverhältnisse, von denen wir profitieren, als solche zu benennen? Einige Weisse sollen bereits mit diesem T-shirt gesehen worden sein…

Nun muss man sich nicht wundern, wenn Leute, denen man lange genug Demokratie vor(ent)hält, es auch einmal selbst ausprobieren wollen.

Ricardo Semler, Vorstand der brasilianischen Firma Semco bemerkt lakonisch:

Wir schicken unsere Söhne in die Welt, um für die Demokratie zu sterben.

Und doch sind Firmen, auch in den demokratisch verfassten Ländern, überwiegend autokratisch organisiert.

Als Ricardo Semler die Firma Semco in den 1970er Jahren von seinem Vater übernahm, befand sich die brasilianische Schiffbauindustrie – und seine Firma als Zulieferer – in der Krise. Semler blieb gar nichts anderes übrig, als weitgehende Veränderungen bei Semco zu organisieren. Nach mehreren Jahren einer Rosskur, als Semco wieder profitabel wirtschaftete, während die Mitarbeiter unglücklich waren, brach Semler unter dem Stress zusammen. Er erkannte, dass er so nicht leben wollte – und nahm an, seine Mitarbeiter ebensowenig.

Der Abbau von Hierarchien und Titeln, weitgehende Partizipation (nicht bloss Konsultation!) der Mitarbeiter, demokratische Entscheidungsprinzipien, eigenverantwortliche freie Einteilung der Arbeitszeit und Entscheidung über das eigene Gehalt, freie Gestaltung des eigenen Arbeitsplatzes, Einstellung von Mitarbeitern durch die zukünftigen Kollegen, regelmässige Beurteilung der Manager durch die Arbeiter, Transparenz in Geschäftsangelegenheiten bei gleichzeitig konsequentem Schutz der Privatsphäre, etc. – war dabei durchaus nicht von vorne herein geplant.

Ricardo Semler stellte eherne Regeln des Management in Frage, um Antworten zu finden, die Zufriedenheit der Mitarbeiter und den Ertrag der Firma zu steigern.

Arbeiter sind erwachsen – aber Unternehmen verwandeln sie in Kinder sobald sie die Werkstore durchschreiten. Sie zwingen sie, Namensschilder zu tragen, für das Mittagessen anzustehen, den Vorarbeiter um Erlaubnis zu fragen zur Toilette gehen zu dürfen , ein ärztliches Attest vorzuweisen wenn sie krank waren, und blind Anweisungen zu folgen ohne Fragen zu stellen.

Er entschied, seine Mitarbeiter nicht mehr wie Kinder zu behandeln. Er beschloss, Kontrolle durch Vertrauen zu ersetzen. Er führte, Schritt für Schritt, Demokratie und Selbstbestimmung bei Semco ein. Heute ist Semco ein florierendes Unternehmen mit 3000 zufriedenen Angestellten und einer Warteliste von 2000 Leuten, die – egal in welcher Position, Hauptsache – mit Semco arbeiten wollen. Und bei jenen Entscheidungen, die alle betreffen, ist Ricardo Semlers Stimme eine von 3000.

Einige der Schwierigkeiten, die Semco auf dem Weg hatte, rühren Semlers Überzeugung nach daher, dass Erwachsene von Kindheit an daran gewohnt sind, entmündigt zu werden. Das Bildungssystem war bisher nicht in der Lage gewesen, Menschen dazu zu verhelfen, ihre Rolle im Beruf, im Leben und in der Gesellschaft kompetent, autonom und verantwortlich auszufüllen.

Um in Zukunft leichter Kollaborateure für seine Unternehmungen zu finden, die keine Angst haben, eigene Entscheidungen zu treffen, begann Ricardo Semler 2003 damit, das Semco-System auf Schulen anzuwenden, von denen heute 3 existieren. Escolas Lumiar sind die ersten Demokratischen Schulen in Brasilien.

Erwin Wagenhofer, nachdem er „Feed The World“ und „Let’s Make Money“ gedreht hat, fragte sich nach dem Ursprung der von ihm in diesen Filmen aufgezeigten Fehlentwicklungen und Verwerfungen. Und, wie er auf der website http://www.alphabet-derfilm.at/ schreibt, ist die Antwort bereits bekannt:

Es liegt daran, wie wir auf dieses Leben vorbereitet werden, wie wir erzogen, sozialisiert und letztlich gebildet werden, mit anderen Worten, welches »Alphabet« wir übergestülpt bekommen, mit dem wir dann ausgerüstet auf und in die Welt losgehen.

In seinem Film mit dem Arbeitstitel „Alphabet“, der im Frühjahr 2013 in den Kinos anlaufen soll, untersucht er, was uns in die Lage versetzen könnte, den weltweit herrschenden drängenden Problemen zu begegnen – und rückt die Bildung in den Mittelpunkt.

Nach seiner Auffassung ist die vorherrschende Bildungskonzeption Ursache der Missstände, während eine andere Bildungslandschaft den Mut, die Kraft, die Kreativität für die Lösung der Probleme freisetzen könnte.

So, liebe Kinder: jetzt hört mal weg, wenn Erwachsene miteinander sprechen!

Also unter uns: In welcher Weise profitieren wir vom „Adultismus“ – von der Macht, die Erwachsene über Kinder haben? Hand aufs Herz: würdest Du ein T-shirt tragen mit der Aufschrift: „Ich profitiere vom Adultismus“?